Ein Namibia-Bericht über das Fressen und Gefressen werden

Botswana, Chobe-Nationalpark, es ist um die Mittagszeit. Die Fahrt mit meinem Geländewagen hat uns gerade an einer Herde trinkender Elefanten vorbeigeführt. Nach unserem Halt in der prallen Sonne lese ich 45 Grad auf unserem Innenthermometer ab. Irgendwie hab ich Angst, dass er gleich abschmilzt. Die Sonne brennt erbarmungslos durch unser geöffnetes Seitenfenster. Draußen ist es viel kühler, 40 Grad ist meine unqualifizierte Schätzung. Weiterfahren, einen Schattenbaum finden, war in diesem Moment unsere einzige Wunschvorstellung.

Vorsichtig umfahre ich ein von den Kaisern der Tiere gegrabenes Sand-Loch. Der König der Tiere ist der Löwe, oder der König der „Big-five“, so wird allgemein gesagt. Meine Meinung, die auf Erfahrung gegründet aber ist, der Elefant steht über dem Löwen, nicht nur auf Grund seiner Ausmaße. Ich bezeichne ihn als den Kaiser. Mehrmals schon habe ich erlebt, wie ein einzelner Elefantenbulle ein ganzes Rudel Löwen aus ihrem Schattenplatz verjagte und in die pralle Sonnenhitze trieb. Wir erlebten sogar Szenen, da wurden die Könige genötigt Wasserflächen zu durchqueren. Diese afrikanischen Großkatzen verabscheuen Wasser, wie der Teufel das Weihwasser in den Kirchen. Trotzdem wurden sie, in unserer unvergesslichen Scene gnadenlos von einem Elefantenbullen gescheucht. Der Elefant bestimmt die Situation bei einem Aufeinandertreffen von König und Kaiser.

Elefantenherde

Jetzt aber zurück zum, vom Rüssler gegrabenen Sandloch, das ich umfahren musste. Die grauen Riesen graben sehr gerne, oder legen auch mal einen Baum quer, meist auf engen Fahrspuren. Fallgruben für Touristen bauen, nennen sie wahrscheinlich ihr Spiel. So manche Geländewagenachse kann davon krachend ein Lied  scheppern.

Ich schalte also in den zweiten Gang. Zum umfahren der Grube wäre der erste Gang angebracht. Die Hitze, die Ablenkung, der Hunger, ich bin zu unkonzentriert, zu faul, um in den ersten Gang zurückzuschalten. Wenn ich ganz zurückschalte, muss ich auch wieder hoch schalten. Es ruckelt zweimal kurz, das Auto steht, abgewürgt, Stille. Eine Horde Affen, die wir erst jetzt entdecken, kommentiert das Geschehen mit ihren spitzen Geschrei. Einen Motor abwürgen, normalerweise kein Problem, eine Standardsituation. Einmal den Schlüssel gedreht, dann doch in den ersten Gang und weiter. Also drehte ich meine Hand, aber nichts – immer noch Stille. Nochmals drehen, wieder das Nichts, die Stille.

Ach ja, heute am Morgen beim Start vom Camp in Kasane und dann nochmals am Gate des Parks, dieses kratzende, metallische, widerwillige Geräusch im Anlasser. Zweimal eine Flussdurchquerung am Vortag und noch schlimmer, diese gelbgrüne modrige, unberechenbare, undurchschaubare Schlammpassagen auf der Route zu den trinkenden Elefanten gerade.  Wasser, nein eher ist es Säure, die an der Elektrik nagt. Ein Gutes hat die Sache, der Fehler ist mir bekannt. Es ist wohl ein defekter Anlasser, auf den ich mich jetzt konzentrieren muss. Zwei Möglichkeiten der Reparatur spiele ich schon jetzt im Kopf durch. Einmal im Camp ausbauen und reparieren, oder in Kasane, das ist die Hauptstadt des Chobe-Nationalparks, einen neuen kaufen. Was bleibt aber im Hier und Jetzt, im Busch, so nennt man die menschenleere Wildnis zu tun, um weiterzukommen?

Aussteigen und anschieben, das ist unmöglich, das Auto ist viel zu schwer und dann noch die vielen Beobachter, Affen, Geier, wer wohl noch alles, um unsere Autopanne. Ein anderes Auto um Hilfe bitten, anschleppen. Nichts zu sehen. Also erst einmal warten, Bier trinken, würde der Bayer sagen und nachdenken. Warten um  sich helfen zu lassen, beides sehr schwer für mich, kann ich nicht. Diese Unfähigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Aber genau, Denken lohnt sich, es ist ja vorgesorgt, für solche Situationen, war mein Gedankenblitz. Da haben wir doch unsere Drahtseilwinde vorne an der Stoßstange. Also raus aus dem bewegungsunfähigen Auto. Ich bitte meine Frau vorsorglich nach Tieren eine Rundschau zu halten. Die Elefantenherde ist in sicherem Abstand ca. 200 m hinter uns. Ein kräftiger Baum ragt 50 m vor uns aus einem, mit ihm verschlungenem  Gebüsch. Das 80 m lange Stahlseil einfach um den Baum legen, das Steuerungskabel der Winde anstecken, ein Kinderspiel. Meine Begleiterin wird stolz auf mich sein, auf solch einen tollen Guide. „Crocodile Dundy“  lässt grüßen. Ich werde mir seinen, solch einen Hut kaufen. Die Raubtierzähne um den Hut kann ich ja weglassen. Vom 12 Volt Motor der Winde, sie zieht angeblich vier Tonnen, in eine Position bringen lassen, links abwärts Richtung Fluss, das Auto wird anrollen, dann den zweiten Gang rein, das Auto wird anspringen. Es ist nicht das erste Mal, dass mir das gelingen wird. Mein Freund aus Johannesburg hat mir schon vor Jahren nahegelegt, kaufe nie ein Haus, das nicht an einem Abhang liegt, da kannst du anrollen, oder dich anschieben lassen. Wie solch ein Satz, in solch einer Situation in den Sinn kommt, das ist doch ein Rätsel. Eigentlich ein Kinderspiel, ich wusste in diesem Moment noch nicht dass mein Plan nur graue Theorie war.

Los geht’s, raus aus dem Auto, das Drahtseil nehmen, die Bremse an der Seilwinde lösen, mit dem Haken in der Hand weiter Richtung Baum gehen. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Das unübersichtliche Buschwerk da vorne, ich sehe eine verwundene Schneise zum Baum, eingeengt von dornigen Zweigen, Hakkies genannt, das müsste mich doch zum Baumstamm führen. Aber da ist noch etwas. Ich fühlte es, ungut fühlte es sich an. Noch einmal meine geplante Aktion überdenken, was könnte da sein?

Träume sind alle möglichen Möglichkeiten, auf den zeitlosen Zeitpunkt der Gegenwart gebracht.

Es schießt mir in den Kopf. Heute Nacht, da war doch was im Traum. Ich ziehe, wie an einem Faden, die nächtlichen Szenen ans Tageslicht. Buschwerk war da, ein Weg, ein Holzstaketenzaun. Völlig untypisch für Afrika, eher typisch für Niederbayern, wo ich wohne. Ja genau, und hinter diesem Zaun waren Löwen heute Nacht in meinem Traum. Ein niederbayerischer Zaun, dahinter Löwen. Keine Gefahr, in Niederbayern gibt es keine Löwen in freier Wildbahn. Das war für mich die Botschaft beim Aufschreiben des Traums, gleich beim Aufwachen. Aber hier, im Jetzt, in der Wildnis, in Not, warum habe ich das einengende Gefühl in meinem Körper?

Jetzt geht’s ans Eingemachte

Also aufgepasst, Vorsicht, nochmal ein Blick in die Runde, ein Blick zurück zu meiner Begleiterin im Auto, sie bekam ein gequältes Grinsen von mir. Das Gebüsch, der Baum, 10 Schritte, 20 Schritte, noch fehlen 30 Schritte, gleich bin ich da, am Ankerplatz, Baum. Was ist das Gelbe zwischen dem vielem Grün? Ein Busch mit hellbraunen Blättern, mitten in der Regenzeit. Ein Termitenbau oder vielleicht sogar ein, Löwe? Was machen eigentlich die vielen Geier am Fluss?

Geier


Die Aasfresser sitzen doch nicht zufällig so erwartungsvoll im Sand? Noch zwei, drei Schritte vorwärts, es war schockähnlich, als hätte jemand kochendes Wasser über mich gegossen, nur ohne Schmerzempfinden, wie Erlebnisse im Traum. Eine Löwin sieht mich vorwurfsvoll an, sprungbereit, die Hinterbeine katapultartig angespannt. Aus ihrem offenen, hechelnden Maul tropft Speichel, die Schnauze blutverschmiert, wie die beiden Reißzähne. Zähne haben mich noch nie so groß, so gefährlich, so lebensbedrohlich angesehen.

Meine Synapsen hören auf zu funken. Automatik übernimmt das Kommando. Alles ist ausgeblendet, es gibt jetzt nur noch diese alleinige Situation, die Löwin und ich. Stillstand ohne einen Zeitbegriff. Langsam kriecht meine einzige Möglichkeit zu überleben zu meinen Synapsverschaltungen.

Sie fangen an wieder zu arbeiten. In Zeitlupe, ähnlich der Bewegung eines Chamäleons, setzte ich einen Fuß zurück, den anderen Fuß, noch einmal einen Schritt rückwärts. Noch lebe ich. Die Löwin beobachtet mich, sie fixiert mich argwöhnisch. Aber immer noch ohne jede Muskelbewegung. Sie hechelt nur. Eigentlich will sie ihre Ruhe haben, fühle ich. Sie will ihren Schatten genießen, in dem sie liegt. Die Rettung, das Auto, das gefühlte, schmerzlose, kochende Wasser kühlt mit jedem Schritt rückwärts ab.
Zurück am Auto ist es nur noch Schweiß, Angstschweiß genannt. Er quillt aus jeder Pore. Meine Begleiterin sieht mich mit geweiteten Augen fassungslos an. Auch sie hat inzwischen die Löwin bemerkt. Ich lege das Seil aus der Hand und halte mich an der sicheren Autotür fest. Langsam fange ich an, die letzten Sekunden abzuspeichern. Ich spüre noch keine wirkliche Erleichterung, nur eine gewisse, es gibt kein Wort dafür, Ruhe, das Wort beschreibt mein Gefühl vielleicht noch am besten. Die Löwin hat sich ebenfalls entspannt. Ihr Kopf liegt zwischen den Tatzen. Sie beobachtet mich nur noch. Gedanken sammeln, beraten mit meiner Frau, wie geht es, wie kann es weiter gehen? Nochmal am Anlasser Schlüssel drehen, es könnte ja sein.

Wenn ich jetzt meine gesamte Erfahrung meiner vielzähligen Safarisituationen zusammenkratze, all meinen Mut und noch ein wenig kalkulierbares Risiko da zupacke, es bleiben nur zwei Möglichkeiten. Hilfe von einem anderen Auto oder eben die Seilwinde. Ein Auto ist nach wie vor nicht zu sehen. In diesem Gebiet kann Warten eine Woche beanspruchen um an ein helfendes Auto zu bekommen. Oder doch schon Morgen oder Übermorgen? Das ist alles Theorie, sag ich mir. Zurück zur Praxis, da bleibt nur die Seilwinde, das Auto, meine Frau, die Löwin und ich. Es würde genügen, den Geländewagen nur ca. 6 Meter links abwärts, in Richtung Fluss zu bewegen, dann hilft die Schwerkraft dieser Erde, zusammen mit der Schwerkraft des Autos weiter. Wieder ein Blick zur Löwin, den Weg zu ihr. Jetzt sehe ich, in einiger Entfernung vor dem Auto eine Wurzel aus dem Sand ragen. Die ist doch ganz schön dick. Sie könnte genügen für den Haken der Seilwinde. Aber, dieser Weg zur Wurzel! Der Schock sitzt noch in meinen Zellen. Das gefühlstötende, kochende Wasser zusammen mit dem unberechenbaren Blick der Löwin 50 m da vorne, oder sind es nur 30 m? hat meinen Mut abgeschliffen. Mut hat sich in Angst verwandelt. Fünf Meter zur Wurzel, ich könnte es tun, aber…. Ein Löwe springt aus dem Stand bis zu sechs Meter, habe ich gelesen.

Zeit gewinnen! Ich steige auf unser Autodach mit dem Fernglas. Gibt es noch mehr Löwen? Sie jagen in Rudeln. Was liegt da einen Meter von der Löwin entfernt? Von oben mit dem Fernrohr, ganz klar. Da liegt ein erlegter Kudu-Bock. Ich sehe die gedrehten Hörner zwischen dem Geäst der Büsche, den ausgeweideten Bauchraum des erlegten Tieres. Jetzt ist mir klar, die Löwin bewacht ihren Riss stellvertretend für ihr Rudel. Die Geier am Fluss würden sofort zum Festmahl kommen ohne die wachhabende Löwin. Die Natur ist doch recht logisch, wenn man alle Fakten kennt, stelle ich wieder einmal fest. Ohne den Riss hätte ich wohl meinen Besuch bei der Löwin nicht überlebt. Das Futter, das Fleisch vor ihrer Nase, war ihr wichtiger als ich. Als ich mich dann noch von ihr weg bewegte, wurde ich zunehmend uninteressant für sie, auch logisch.

Traum und Wirklichkeit, zwei Welten, wo ist es interessanter?

Der Zaun war die Metapher für den erlegten Kudu-Bock in meinem Traum. Der Kudu Bock im Hier und Jetzt, war mein ganz persönlicher Schutzzaun, er hat mir das Leben gerettet. Im Traum ist mir nichts geschehen, das habe ich gerade im Jetzt erlebt. 

Immer wieder bin ich begeistert. Diese unerschöpfliche Intelligenz in den Traumszenen, die mir etwas sagen sollen, ohne dass sie etwas in der Wirklichkeit wirklich sagen. Typisch für die Traumsprache, Traumsprache ist Metaphernsprache. Oberstes Gebot bei Nachrichten aus den Traumwelten: Das Gefühl, das bei ihrenTraumszenen entsteht, ist wichtig. Zusammen mit der erlernten Traumsprache kann auf reale Szenen, auf Leben im Hier und Jetzt aber geschlossen werden.

Wasser, Hochwasser, reißendes Wasser usw. hat z.B. bei mir persönlich etwas mit Leben zu tun. Aber, jeder Mensch bekommt seine individuelle Traumsprache. Deshalb können Träume für andere Menschen nicht  gedeutet werden.

Wir Menschen haben das Privileg der Gefühlsproduktion bekommen. Würde uns der Traum Infos 1 zu 1 übermitteln, wozu sollten wir dann noch leben in unserem System der wahrscheinlichen Zukunften.

Ich schreibe gerade, also lebe ich noch, wie lange, die Zukunft wird entscheiden.

 Mein ratloses Abwarten, mein Denken im Kreis, brachte kein helfendes Auto, aber eine immer durstiger werdende Löwin. Ein vollgefressener Magen, über 40 Grad im Schatten und dazu kühles Flusswasser in der Nähe, brachte unsere Situation in Bewegung. Als die Löwin aufstand und kurz in unsere Richtung ging, setzten wir schon mal einen Fuß in die brütend heiße Fahrerkabine. Schnell war aber dann zu erkennen, die Löwin hatte allein Interesse am durststillenden Wasser. Auf ihrem Weg zum Fluss blickte sie mehrmals zurück, taxierte unser Auto zusammen mit ihrem Riss. Wagt es ja nicht, meinem Kudu-Kadaver zu nahe zu kommen, war ihre eindeutige Nachricht.

Am Wasser angekommen war die Strecke zwischen Auto, Seilwinde und Wurzel von der Löwin nicht mehr einzusehen. Meine Begleiterin hielt mich auf dem Trittbrett erhöht stehend auf dem Laufenden: „Säuft, säuft noch, säuft immer noch, schaut zurück, säuft weiter. Vom anbringen des Hakens an die Wurzel, dann zurück zum Auto, bis zum Einrollen des Drahtseils, brauchte ich keine zwei Minuten. Mit angezogener Handbremse entfernte ich noch schnell den Seilhaken. Jetzt reichte das Gefälle, um Fahrt aufzunehmen.   Getretene Kupplung  zweiter Gang, Kupplung raus, ein kurzer Ruck, der Motor drehte. Nicht nur der Tag war gerettet.

Unbeeindruckt von uns und unserem laufenden Motor, trottete die Königin in zwei Meter Abstand, zu unserem Auto,  wieder zum Schattenbaum. Ein Auto ist generell für Raubtiere  kein jagdbares Wild, selbst wenn ein Mensch außen am Trittbrett steht. Davon zeugen viele Erlebnisse mit offenen Safarifahrzeugen. Dort sitzen oft acht und mehr Touristen vollkommen ungeschützt. Erst wenn ein Mensch sich sozusagen vom Schatten des Fahrzeugs löst, wird er für den Löwen interessant.

Dieses Erlebnis schildere ich nicht um als Abenteurer zu glänzen. Ich möchte nur Möglichkeiten schildern die Teile Botswana`s und der Norden von Namibia bieten. Es muss nicht unbedingt eine Selbstfahrertour sein. Es gibt eine Reihe von Angeboten die euch diese Natur pur, in einer geführten Tour erleben lassen kann. Sicher bin ich mir, noch gibt es keine anderen Länder auf unserer Erde, in denen man in dieser Freiheit, mitten unter archaischen wilden Tieren, Lebenszeit verbringen darf.

Dieses Südliche Afrika ist ungeeignet für den Massentourismus. Auch ist es  ungeeignet um Abenteuergelüste zu stillen, oder diese zu kaufen. Wer aber die Dramatik unserer Uhrzeit erspüren will und dann noch in seinem Zuhause sich einsetzt und um Verständnis für die Erde und ihre Natur zu werben, ist ganz besonders willkommen, in meinem  „Sehnsucht – Land – Namibia“

Elefantenherde beim Baden